Des öfteren musste ich schon mir den Vorwurf gefallen lassen dass die Literatur von Zeugen Jehovas höchst „manipulativ“ wäre, und dass Zeugen Jehovas wohl (unbewusst?) einer Gehirnwäsche unterzogen worden seien.
Natürlich nehme ich das persönlich – bin ich etwa manipuliert worden, und wurde ich ohne es zu merken einer „Gehirnwäsche“ unterzogen?
Zuerst einmal: was bedeutet es manipuliert worden zu sein?
Ich finde dass das mancherorts verpönte Wikipedia hierzu eine recht interessante Definition gibt:
Von Manipulation eines Menschen spricht man dann, wenn die Annahme eines Identifikationsangebots oder einer Ware und Dienstleistung nicht zu seinem Vorteil, sondern zu seinem Nachteil führt. Von unsittlicher Manipulation spricht man, wenn der Versuch zu überreden oder überzeugen bei den Beeinflussten ökonomischen und/oder sittlichen Schaden verursacht.
Wer Unterlegenheitsgefühle, mangelndes Selbstvertrauen oder Angst hat, lässt sich leichter täuschen, ist leicht manipulierbar. Die Manipulation von Menschen verfolgt Ziele und dient dazu, andere Menschen hinsichtlich ihres Verhaltens zu beeinflussen. Der Begriff der Manipulation ist in diesem Kontext negativ besetzt. Wird ein positives Ergebnis angestrebt oder erreicht, handelt es sich um Kommunikation zur Überredung oder Überzeugung. Manipulierte Menschen handeln nicht aus eigenen Einsichten oder Überzeugungen, sondern fremdbestimmt. Die angestrebte Lenkung durch gezielte Beeinflussung von außen erzeugt beim Erkennen zumeist negative Emotionen, da der Manipulierte zur bloßen Marionette des Manipulierenden gemacht wird und nur nach dessen Vorstellungen reagieren soll. Manipulation kann in der Kommunikation auch über die Sprache ausgeübt werden, zum Beispiel durch die Fragetechnik.
Sollte ich also manipuliert worden sein, so wurde ich von jemand oder etwas anderem hinsichtlich meines Verhaltens beeinflusst – und das zum negativen. Ich handele also nicht aus eigenen Einsichten oder Überzeugungen, sondern fremdbestimmt. Sollte ich dies erkennen, müsste das negative Gefühle in mir auslösen. Bin ich zur Marionette von der Führung der Zeugen Jehovas geworden?
Hat mich die Literatur der Zeugen Jehovas beeinflusst, ohne dass ich es bemerkt habe? Schon bei dieser Frage liegt der Hase im Pfeffer begraben!
Ich persönlich sehe die Bibel als den wertvollsten Ratgeber überhaupt an, und jede Literatur von Zeugen Jehovas als Erinnerungsstütze, mit zusätzlichen Denkanstößen. Natürlich sind diese Ratgeber religiöser Natur, und als religiösem Menschen wird dieser Rat mich auch beeinflussen. Wie stark dieser Einfluss ist, hängt im Grunde nur davon ab wie sehr ich von der Sache überzeugt bin. Die Bibel selbst gibt sogar den Rat dass man sich von ihr beeinflussen lassen sollte (Matthäus 7:24-27).
Sogar die eigenen Gedanken zu kontrollieren, ist ein Rat aus der Bibel (2. Korinther 10:5). „Die Gedanken sind frei“ ist kein Leitsatz den ich mir zu Eigen machen möchte.
Natürlich mag das für einen nicht religiösen Menschen befremdend sein – aber auch dieser Mensch ist sich manchmal nicht bewusst dass auch er manipuliert wurde: durch den Biologie-Unterricht in der Schule zum Beispiel, da wurde er vielleicht manipuliert zu glauben/denken dass es keine Schöpfung gibt. Wieso? Nun weil ihm das Gelehrte logisch erschien!
Er würde es nicht „manipuliert“ nennen – sondern er würde es als das bezeichnen was es für ihn ist: überzeugend.
Für mich, der sich aus Überzeugung bemüht ein wahrer Christ zu sein, ist die Bibel in ihrer Gesamtheit logisch und nachvollziehbar. Ich muss allerdings gestehen, dass das nicht immer so war. Die Bibel ist ein dickes Buch, und liest sich nun mal nicht wie ein Thriller!
Es benötigt Zeit und Geduld (ganz davon abgesehen, braucht man Gottes Hilfe) um die heilige Schrift zu ergründen. Für mich war die Literatur der Zeugen Jehovas darin immer ein wertvolle Hilfe. Nicht etwa weil sie die Bibel erklärt, sondern sie gibt unter anderem detailverliebte Einblicke in eine für uns heute eher fremde Welt, und das durchaus sehr gut recherchiert – einer meiner Lieblingsnachschlagewerke ist beispielsweise das Einsichtenbuch.
Wie kann man diese Einsichtenbücher benutzen um die Bibel besser zu verstehen? Man liest beispielsweise etwas in der heiligen Schrift über eine eher unbekannte Persönlichkeit, und das Einsichtenbuch macht eine Zusammenfassung mit den wichtigsten Punkten und den dazugehörigen biblischen Texten. Das Einsichtenbuch ist, sofern ich das beurteilen kann, das am wenigsten kritisierte Werk der Zeugen Jehovas, weil es detailliert, nachvollziehbar und recht vollständig ist. Es benutzt keine Fragen, sondern liefert biblische Fakten – aber (!) das Einsichtenbuch ist nicht dazu gedacht zum nachdenken anzuregen.
Die Literatur die Zeugen Jehovas in der Regel beim Predigen verwenden, ist jedoch dazu gedacht zum nachdenken anzuregen! Sie hat den zweck in kurzer Lesezeit, biblische Wahrheiten in Kurzform einfachen Leuten beizubringen – ja man kann sagen: Menschen in kürzester Zeit zu überzeugen sich mehr mit dem Thema zu beschäftigen. Wie tut man das am besten?
Man stellt recht einfache Fragen, über die der Lesende nachdenken kann, und gibt in der Regel auch gleich die Antwort dazu! Ist der Lesende mit der Antwort einverstanden fühlt er sich bestätigt und liest weiter. Ist der Lesende anderer Meinung, so mag er sich dennoch fragen, wie die Zeugen Jehovas zu dieser Schlussfolgerung kommen.
Ist das nicht die Manipulations-Fragetechnik von der in der Definition von Wikipedia die Rede ist? Das könnte man so annehmen! Es wäre allerdings etwas weit gegriffen. So gesehen, könnte nämlich jede Frage, die den Zuhörer zum Nachdenken anregen soll, als Manipulationsfragetechnik gewertet werden. Ich kenne keine Ratgeber (ob nun von ZJ oder Nicht-ZJ), in dem keine zum Nachdenken anregenden Fragen gestellt werden. Schließlich möchte jeder Ratgeber ja auch etwas beim Leser bewirken!
In Bezug auf Rat aus der Literatur von Zeugen Jehovas liegt das Problem tatsächlich hier: Entweder man bejaht die Antwort die Zeugen Jehovas geben, ohne weitere Nachprüfung. Man nimmt den angegebenen Punkt dann als Wahrheit in Anspruch, und bleibt eine Zeit lang dabei, ohne sich weiter damit zu beschäftigen.
Später (manchmal vielleicht Jahre später), stolpert man über eine Aussage die vermeintlich das Gegenteil der vorher angenommenen Wahrheit beweist… man ist geschockt, vielleicht empört… diesmal weiß man es besser und überprüft den Gegenbeweis, und es stellt sich heraus: am Gegenbeweis ist was Wahres dran! Man bleibt bei dieser neuen „Wahrheit“, und verliert jedes vertrauen an der „Un“-Wahrheit die man vorher glaubte, einschließlich den meisten damit verbundenen anderen „Un“-Wahrheiten. Nun kommt es zu den, in der Definition des Manipulationsbegriffs beschriebenen, „negativen Emotionen“: „Ich bin von den Zeugen Jehovas manipuliert worden.“ – Das ist natürlich nicht ganz richtig! Ein Fußballspiel kann manipuliert worden sein, indem bspw. Schiedsrichter (meist gegen einen Lohn) zugunsten einer der Mannschaften pfeifen… was wurde dann manipuliert? Die Spieler? Die Zuschauer? Oder das Spiel selbst? Manipulation als Begriff lässt sich eigentlich nur auf eine Sache anwenden, die sich als solches nicht wehren kann. Weder Fußballfeld, noch der Fußball, noch das Match an sich kann sich gegen eine solche Manipulation wehren, da nichts davon einen Geist hat zum selbstständigen Denken. Ein geplant manipuliertes Fussballspiel, hat keine Wahl… es ist der Willkür des Manipulierenden ausgeliefert.
Ein selbstständig denkender Mensch jedoch, hat eine Wahl. Er kann sich durchaus dazu entscheiden, andere für sich denken zu lassen, und die Ergebnisse dieses Denkens einfach ungeprüft für sich selbst zu übernehmen. Er kann sich manipulieren lassen! Das ist an und für sich nichts Verwerfliches – es gibt weltweit Millionen an Ratgebern – viele davon in Bestsellerlisten, die dazu gemacht wurden das Denken bzw. Schlussfolgern ein Stück weit für andere zu übernehmen, und jenes zu beeinflussen. Menschen lesen sie, um Aufschluss über eine Sache zu erlangen, im Bewusstsein, dass sie selbst nicht genügend qualifiziert sind, oder sonst nicht die Mittel und Zeit dazu hätten zu solchen (oft wertvollen) Schlussfolgerungen zu gelangen. Also übernehmen sie (oft ungeprüft) Meinungen von den „Experten“ im jeweiligen Fachbereich.
Mit den „Experten“ ist es bei Zeugen Jehovas natürlich anders als in den meisten anderen Fachbereichen. Zeugen Jehovas werden im Allgemeinen selten als „Experten“ hinzugezogen wenn es um christliche Wahrheitsfindung in Bezug auf eben diese Glaubensgemeinschaft geht. Zu groß ist das Misstrauen das von Kritikern, ehemaligen Mitgliedern, und Sektenbeauftragten mit Erfolg geschürt wurde.
Daß man Schriftstücken von Zeugen Jehovas nicht traut ist sogar Zeugen Jehovas bewusst – und dennoch gibt es einige die sich davon überzeugen lassen!
Kritiker meinen dazu dass dies naive und dumme Menschen sein müssten. Es mag verwundern dass ich diesen Kritikern sogar unter Umständen Recht gebe. Welche Umstände das sind habe ich vor 4 Absätzen hier angeführt. Die Person im obigen Beispiel hat sich tatsächlich manipulieren lassen – und das gleich mehrmals.
Zuerst hat sie sich von Zeugen Jehovas manipulieren lassen (und ich bin der Meinung dass ZJ sicherlich nicht die Absicht haben irgendjemand zu manipulieren, wie ich später kurz erklären möchte). Die Person im Beispiel hat eine plausible Erklärung ohne weitere Überprüfung hingenommen – und auch ich halte dies für verkehrt. Wenn man leichtgläubig eine plausible Erklärung als Wahrheit annimmt, läuft man Gefahr der falschen „Wahrheit“ zu glauben – also manipuliert worden zu sein.
Nun hat die Person in unserem Beispiel, es doch noch geschafft, oder? Sie hat sich von der wahren „Wahrheit“ überzeugt, und hat ihre Lektion gelernt, nicht wahr? Wieder falsch! Auch wenn ich Kritikern nicht unterstellen möchte manipulieren zu wollen – so hat diese Person sich auch von diesen Kritikern manipulieren lassen! Wieso? Sie hat dieses mal doch die Gegenbeweise überprüft!
Statt nur die Gegenbeweise zu prüfen, hätte die Person auch nach Gegenbeweisen zum Gegenbeweis suchen sollen. Nur so hätte sie sicherstellen können, nicht erneut einer „falschen“ Wahrheit zu glauben.
Dies wäre hier der richtige Weg gewesen:
- Eine plausible Erklärung überprüfen im Licht der Bibel
- Was spricht dafür (biblisch sowie gegenwärtig)?
- Was dagegen (biblisch sowie gegenwärtig)?
- Beides miteinander abwägen – und unter Gebet zu einer Schlussfolgerung kommen
- Diese Schlussfolgerung bei der nächsten Gelegenheit mit Vertrauten, und auch mit Zeugen Jehovas besprechen um sicher zu gehen dass man nichts vergessen hat – sollten dort neue Erklärungen erfolgen –> nach dem gleichen Schema wieder überprüfen.
So lassen sich unnötige Manipulationsvorfälle im Gespräch mit Zeugen Jehovas vermeiden.
Zeugen Jehovas halten ihre Mitmenschen nicht für dumm, sondern gehen davon aus dass man so oder ähnlich sich seine eigenständige Meinung bildet die man auch verteidigen kann. Manipulation ist keinesfalls ihre Absicht, da sie genau wissen dass dies zu einen Glauben ohne Fundament führt, welcher früher oder später scheitern würde. Solche Jünger zu machen, kann nicht das Ziel von Zeugen Jehovas sein (Matthäus 28: 19, 20; Lukas 6:49)
Dennoch glauben viele, dass Zeugen Jehovas manipuliert würden, da sie in vielen Glaubensansichten so anders denken als der „christliche“ Mainstream.
Bspw. glauben Zeugen Jehovas heute in den „letzten Tagen“ zu leben (2. Timotheus 3:1). Sie proklamieren diese Ansicht auch öffentlich, da es natürlich ein biblisches Argument dafür ist, daß Gott sein Königreich bald auf der Erde einsetzen wird, und somit alle bisherigen menschlichen Könige bzw. Regierungen restlos ersetzen wird (Daniel 2:44). Sie glauben diese Beseitigung der derzeitigen Königreiche/Regierungen wird im Krieg Gottes, genannt „Harmagedon“ stattfinden – welches, aufgrund der besagten „letzten Tage“ in nicht allzu ferner Zukunft stattfinden würde (Offenbarung 16:14, 16).
Zeugen Jehovas wird von Kritikern vorgeworfen „Panikmache“ zu betreiben. Die kurz bevorstehende Endzeitvorstellung, wäre eine tolle Kontrollmaßnahme, um die Schäfchen bei Laune zu halten, damit sie auch fleißig weiter missionieren würden für die pöse, pöse Leitung in den USA, bevor das lang ersehnte Ende kommt.
Kinder würden durch die Literatur dazu manipuliert, zu glauben dass das Ende nahe sei – man würde sie durch gezielte Fragestellung davon abhalten, weiter, als für den Zeugen-Jehovas-Glauben notwendig, zu denken.
Als Gegenbeweis wird dann bspw. angeführt, dass die Zustände die in 2. Timotheus 3:1-5 beschrieben werden, heute doch gar nicht SO ausgeprägt wären – im Gegenteil: in der Vergangenheit war alles VIEL schlimmer.
Man bedenke da nur an die antiken Römer – welche (mitunter minderjährige) Sklaven hielten die zu jedweder Zeit für abartige sexuelle Dienste zur Verfügung zu stehen hatten. Folter, Mord und Vergewaltigungen waren damals an der Tagesordnung. Dagegen würden die heutigen Zustände schon fast verhältnismäßig paradiesisch wirken!
Ist das euer ernst?
Sagt das den hundert tausenden von missbrauchten Kindern, von denen Millionen Videos und Bilder als Kinderpornos im Darknet herumgeistern, und von Millionen von kranken Personen konsumiert werden.
Sagt das den Millionen von Vergewaltigungsopfern, besonders in Ländern wo die Rolle der Frau als minderwertig geachtet wird.
Sagt das den unzähligen willkürlichen Opfern von häuslicher Gewalt (welche in Russland bspw. gar nicht rechtlich geahndet wird).
Sagt das der Milliarde Menschen die unter dem Existenzminimum mitunter täglich Hunger leiden müssen.
Sagt das den über 60 Millionen Flüchtlingen weltweit, die keinen anderen Ausweg sahen, als aus ihrer prekären Lebenssituation zu fliehen, und dafür ihr Leben riskieren.
Sagt das den Terroropfern oder deren Angehörigen.
Sagt das den Leuten in Syrien, die durch feige Giftgasattacken ihre ganzen geliebten Freunde oder Familienmitglieder verloren haben.
Sagt das den Menschen die Opfer von Naturgewalten aufgrund des Klimawandels wurden.
Sagt das den Tierschützern die tagtäglich mit unwürdigen Massentierhaltungen von profitgeilen Unternehmen konfrontiert sind.
Sagt das den Kindern die unter moderner Sklaverei und gefährlichen Arbeitsverhältnissen, billige Konsumgüter für die westliche Welt herstellen.
In der heutigen Gesellschaft wo Pornografie, die Darstellung von extremer Gewalt (Torture-Porn), Ehebruch und Scheidungen salon-fähig, und zerrüttete Familien mittlerweile leider eher die Regel als die Ausnahme sind, in der Profitgier über dem Schutz der Natur steht, in dem die Lücke zwischen arm und reich immer größer wird – wer käme da schon dazu zu sagen dass die Zustände wie sie in 2. Timotheus 3:1-5 beschrieben sind, auf die Menschheit von heute zutreffen würden!?
Dies ist nur ein Beispiel von vielen!
Meinungsäußerungen von Zeugen Jehovas sowie die von Kritikern sollten nie ungeprüft hingenommen werden. Ansonsten läuft man Gefahr sich täuschen zu lassen. Ebenso sollte man sich vor Halbwahrheiten hüten – schade wäre es wenn man der falschen Hälfte Glauben schenken würde.